Die hier festgehaltenen Notizen beziehen sich hauptsächlich auf Honneth, Umverteilung als Anerkennung. Eine Erwiderung auf Nancy Fraser, in: Fraser/Honneth, Umverteilung oder Anerkennung, Frankfurt am Main, S. 129-224.
I
Sicherlich ist Frasers Ansatz, Anerkennung als Statusproblem zu sehen, weitaus integrativer, da die Statusfrage eine Voraussetzung für den Kampf um Umverteilung ist. Andererseits hat Honneth mit seiner These, die Annerkennungsproblematik in das Problem der Selbstentwicklung einzubetten, genauso recht; hier muss aber gleich gesagt werden, dass das ein Problem der Subjektkonstitution ist, was im Sinne von „Sich-selbst-erkennen-durch-Andere“ verstanden werden muss und in gegenseitiger Anerkennung endet. Wenn ersteres also schon scheitert, so ist auch das Subjekt schon mit Fehlern behaftet und es kommt so schon zu einer gehemmten Selbstverwirklichung.
Ist das „Sich-selbst-erkennen-durch-Andere“ schon ein Anerkennen durch die/den Anderen, dann steht hier ebenso das Problem der Subjektkonstituierung im Zusammenhang des „Leiden[s] an Unbestimmtheit“[1]; wenn das laut Honneth erste Prinzip der Anerkennung, die Liebe schon scheitert, kann das Subjekt auf den weiteren Stufen der Anerkennung[2] kaum voranschreiten – es kann kein „Kampf um Anerkennung“ mehr stattfinden.
II.
Fraser vertritt mit dem Modell der partizipativen Parität einen dialektischen Ansatz, der auf beiden Seiten – Umverteilung wie Anerkennung – berücksichtigt werden muss, um auf dem Weg dort hin die Maßnahmen hinreichend begründen und evtl. Nebenwirkungen der Maßnahmen (die zu Verschlimmerung oder Neuentstehung von Disparitäten führen könnte) ausschließen können muss. Die verschiedenen Bedingungen und Ebenen der Bewerkstelligung, die Fraser zu implementieren versucht, spiegeln nur diese Dialektik wieder.
Unter Anderem setzt sie in einem demokratischen Verfahren zur institutionellen Implementierung von Mechanismen der partizipativen Parität eine Politik der Deliberation voraus, die aber wiederum eine der Institutionalisierung der Werte einer um Anerkennung kämpfenden Gruppe vorgelagerte kulturelle Anerkennung dieser Minorität voraussetzt; sie ist nicht gleichzusetzen mit dem gesetzgeberischen Verfahren. Entgegen ihrer Beteuerung, man käme hier nicht in einen circulus vitiosus, läuft Fraser gerade dadurch Gefahr in einen Zirkelschluss zu geraten.
Gleiches gilt für Umverteilung, bei dem das Prinzip der Leistung (Honneths Sphären der Anerkennung folgend) dem des Rechts vorgelagert sein muss, um die anerkannte Leistung in Recht zu setzen. Hier besteht aber die Gefahr, dass dieses Prinzip der Anerkennung, welches sich auf die Reproduktivität für die Gesellschaft beruft, lediglich Praxen neoliberaler Politik repräsentiert und diese zum einzigen Ideal erhebt. Umverteilung muss aber, um gerecht zu sein, außerhalb von leistungsbezogenen Wertschemata stattfinden.
III.
Mit den Ausführungen in „Leiden an Unbestimmtheit“[3] bestätigt sich, dass die Anerkennungstheorie innerhalb von liberaler Demokratietheorie und liberaldemokratischer Gerechtigkeit verankert ist, die neoliberale Praktiken der Sozialpolitik rechtfertigt. Hier stellt sich mir die Frage – ich beziehe mich auf das „radikaldemokratische“ Modell einer „reflexiven Kooperation“, das Honneth mit Dewey, in Abgrenzung zu Arendt und Habermas entwickelt hat[4] – wie kann dieses Modell einer reflexiven Kooperation mit der anerkennungstheoretischen Konzeption einer sozialphilosophischen/-politischen neoliberale Praktiken rechtfertigenden Theorie im politischen Denken eines Philosophen einhergehen?
IV.
Einerseits hat Honneth mit der Kritik an Fraser recht, wenn er behauptet, sie würde sich – USA-zentriert – hauptsächlich auf die lautesten Komplexe der „neuen sozialen Bewegungen“ (new social Movements – NSM) beschränken; es gehören sicherlich noch mehr Belange berücksichtigt, die eben durch einen „öffentlichen Filter“ rinnen. Diese Komplexe, die ich unter die Begriffe Migration[5] und Sexualität zusammenfassen will, mögen zwar als Themen innerhalb der Gesellschaft anerkannt sein; aber es gehören immer noch die Themen Ökonomie als gesamtgesellschaftliche Problemstellung, die sogenannte Leitkultur als nationalkultureller Diskurs etc. dazu. Wenn ich aber die Tendenzen dazu zähle, die Honneth in dieser Kritik erwähnt und ihnen den Stempel einer NSM aufdrücken will, dann stellt sich mir die Frage, wie solchen Tendenzen ein Mangel an Öffentlichkeit (Anerkennung durch die mediale Öffentlichkeit) zugesprochen werden kann, wenn deren Inhalte und Forderungen schon längst im realpolitischen Diskurs angekommen sind und Formen von rechtlichen Institutionen angenommen haben und auf sozialer Ebene gängige Praxis sind, deren Folgen Diskriminierung, Ausgrenzung und Kriminalisierung sind?
Denn andererseits ist gerade auf dem Gebiet der Migration eine Tendenz zu erkennen, die MigrantInnen nicht etwa das Leben erleichtern, sondern sogar den Satz „Du bist doch selber Schuld an deiner Situation. Nun sieh zu, wie du da wieder herauskommst.“ beinhaltet. (Diesen Satz kann man allerdings sehr häufig finden. Unter anderem auch bei ökonomischen Fragen oder Fragen der Sexualität.)[6]
V.
Was die ökonomischen Fragen betrifft, müssen diese Probleme zwar erst einmal als Problemstellung anerkannt werden, aber im Anschluss daran fortzufahren mit einer Gerechtigkeitstheorie, die sich auf Kategorien der Anerkennung stützt, halte ich für stark verkürzt; diese Art der Anerkennung ist lediglich eine soziale Anerkennung. Es handelt sich doch hier vielmehr um Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, die ich mit der Anerkennungssphäre der Leistung – die zudem noch den Prinzipien der ökonomischen Verwertbarkeit des Individuums und seinen Beitrag für die Reproduktion der Gesellschaft folgt – wohl kaum beantworten kann.
VI.
Wie soll ein Subjekt „von vornherein mit normativen Erwartungen gegenüber der Gesellschaft“ ausgestattet sein, wenn es doch erst einmal lernen muss, Erwartungen zu stellen und diese zu artikulieren?
Wenn genetisch an das Problem herangegangen wird, so unterliegt ein Subjekt während seiner Konstituierung sozialer Prägung, was heißen soll, dass Ansprüche, die es geltend machen könnte, der Sozialisierung unterliegen und damit auch vom sozialen Wissen abhängen, was jedem (voll-)ausgebildeten Subjekt jeweils anhängt.
[1] Das Problem der Selbstverwirklichung im Kontext mangelnder Anerkennung ist hier in Anlehnung an Honneths Hegel-Reaktualisierung als Leiden an Unbestimmtheit verstanden, da damit auch das unvollendete Subjekt einhergeht.
[2] Die bei Honneth formulierten an Hegel angelehnten Sphären der Anerkennung werden hier als Stufenmodell begriffen. Nach Honneth sei Liebe die elementarste Form der Anerkennung und bedeutet somit die erste Stufe des Einzelnen zu einem vollwertigen Subjekt der Gesellschaft.
[3] Axel Honneth, Leiden an Unbestimmtheit. Eine Reaktualisierung der Hegelschen Rechtsphilosophie, Stuttgart 2001, Kap. III., S. 78-127.
[4] Axel Honneth, Demokratie als reflexive Kooperation. John Dewey und die Demokratietheorie der Gegenwart, in: ders., Das Andere der Gerechtigkeit. Aufsätze zur praktischen Philosophie, Frankfurt am Main 2000, S. 282-309.
[5] Hier verstanden als Sammelbegriff von Asylrecht, antirassistischen Initiativen, alltägliche gesellschaftliche Rassismen etc.
[6] Auch antirassistische Initiative, Eintreten für Rechte Homosexueller und alternativer Lebensweisen, das Praktizieren nicht-bürgerlicher Wohnformen werden nicht nur von solchen „Bewegungen“ bekämpft, die mit Gewalt und Ausgrenzung Anerkennung erfahren wollen, sondern auch von einem Großteil der Gesellschaft und gerade von staatlicher Seite. Erstere möchte ich nur als die krasseste Form der letzteren genannt wissen.